(Oder: Wie mir eine Gießkanne das Vertrauen in die Bahn zurückgab)

Es gibt Tage, da wacht man auf und denkt: Wird wohl ein ganz normaler Sonntag. Aber dann steht man plötzlich auf einem Bahnsteig, der nach Kindheit riecht – nach altem Stahl, frisch geölten Achsen und einer Zeit, in der der Schaffner noch eine Respektsperson mit Lochzange war.
Zeitreise am Gleis
Der 4. Mai begann mit einem tiefen Grollen: Die Diesellok rollte an – majestätisch wie ein alter Drache. Zwar mit weniger Feuer, aber mehr Dieselduft. Aus dem Fenster lehnte sich der Lokführer und winkte lässig – ein Gruß wie von Lukas, dem Lokomotivführer persönlich. An den Türen der Waggons aus den 30er, 40er und 50er Jahren standen Männer in Bundesbahn-Uniformen, die aussahen, als kämen sie direkt aus einem vergilbten Schwarz-Weiß-Foto. Keine verkleideten Statisten – echte Bahnliebhaber. Die Eisenbahnfreunde Osnabrück, die diesen Zug hegen, pflegen und zum Glück auch fahren.
Schnitten, Bockwurst und ein stilles Örtchen

Im Speisewagen roch es nach Filterkaffee, belegten Brötchen und einer Prise Nostalgie. Keine fancy Wraps, keine Smoothie-Bowls. Stattdessen: Kartoffelsalat mit Würstchen und ein Lächeln, das nicht vom Display kam.
Das stille Örtchen? Eine Offenbarung. Keine Spülung, aber freier Blick auf das Schotterbett. Die Nachspülung kam – stilecht – aus der Gießkanne. Und ja, man wurde freundlich gebeten, sein Geschäft nicht am Bahnsteig zu erledigen. Ich sag’s mal so: Hat funktioniert.
Zwischen den Waggons wehte der Wind der Freiheit – und zwar heftig. Die Übergänge waren offen. Wer sich traute, bekam gratis Fahrtwind im Gesicht und verlor dabei, wie unser Organisator Matthias Barkholz, sein Käppi. Zum Glück gab’s Ersatz an Bord zu erwerben. Ich vermute, man kannte das Problem.
Schiff Ahoi & Inselblicke

In Wunstorf warteten schon vier Busse – Organisation vom Feinsten. Weiter ging’s nach Steinhude, wo ein gleichnamiges Schiff auf uns wartete. An Bord: Kaffee, Kuchen und das Steinhuder Meer in Postkartenstimmung. Wir schipperten vorbei an Segelbooten, Surfern und der Insel Wilhelmstein – einem stillen Eiland mit Festung und Geschichte. Militärische Vergangenheit trifft romantische Verlassenheit. Und genau das macht den Charme aus.
Acht Beine, tausend Flügel

Zurück an Land wartete das Insektenmuseum – ein Ort für Menschen ohne Arachnophobie, denn da waren auch Spinnen. Groß. Haarig. Still. Zum Glück hinter Glas. Dazu Käfer, Skorpione und Tausendfüßler in allen Farben und Formen.
Und dann: Tür auf, Weltwechsel. Tropenfeeling in der Schmetterlingsfarm. Warm, feucht, farbenfroh – ein Schmetterlingstanz in Orange, Türkis und Royalblau. Die Luft vibrierte. Schmetterlinge landeten auf Nasen, Händen, Glatzen. Wer da nicht lächelt, braucht vielleicht Urlaub.
Kindheit in der Vitrine
Im Spielzeugmuseum dann eine andere Atmosphäre. Eine spannende Rückblende in die Kinderzimmer vergangener Jahrhunderte. Puppen mit Porzellanköpfen schauten unverwandt aus ihren Vitrinen, daneben Baukästen, Blechautos, Mini-Züge. Und eine alte Ausgabe des Struwwelpeter, dem Erziehungsratgeber früherer Generationen. Ansonsten Technik für Jungs, Haushalt für Mädchen. Alles mit Herz und Liebe zusammengestellt. Spielzeug zum Erinnern – und fast zum Anfassen.
Ein paar Schritte Steinhude
Dann war Bummeln angesagt – ganz ohne Plan, dafür mit Fischbrötchen in der Hand. Steinhude zeigte sich von seiner charmanten Seite: Imbissstände, Cafés, Schaufenster mit Souvenirs. Und irgendwo zwischen Wasserplätschern und Entengeschnatter fand man sie: die Gelassenheit.
Rückfahrt mit Applaus
Gegen Nachmittag warteten wieder die Shuttlebusse. Zurück zum Zug – zurück in die Vergangenheit. Die Diesellok stand bereit, als hätte sie den ganzen Tag auf uns gewartet.
Während wir an Regionalbahnhöfen vorbeizuckelten, sammelte der Zug Komplimente: Kinder staunten, Erwachsene zückten Handys, Daumen gingen hoch. Ein Vater erklärte seinem Sohn: „So sahen Züge früher mal aus.“
Ein letztes Rattern, ein langes Lächeln
Als ich in Bielefeld ausstieg, hatte ich zwar kein Souvenir in der Hand – aber ein paar Erinnerungen im Gepäck. Geräusche, Gerüche, Gesichter. Und das Gefühl, für einen Tag Teil einer Geschichte gewesen zu sein, die fast verloren gegangen wäre.
Zum Glück gibt’s Menschen wie Matthias Barkholz und das Team vom Möbel-Bahnhof sowie die Eisenbahnfreunde Osnabrück, die sie lebendig halten – mit Diesel, Herz und einer ordentlichen Portion Enthusiasmus.
Ich bin beim nächsten Mal wieder dabei.
Vielleicht du ja auch?